Rosenthals zu Besuch in Beerfelden

Inge Groß begleitete eine Reisegruppe durch die Heimat ihrer Vorfahren. Im Anschluss der zugehörige Bericht von Thomas Wilken, erschienen im Odenwälder Echo am 05.06.24.

Besuch in der Heimat der Vorfahren

Nachfahren der Rosenthals aus Großbritannien und den USA auf Spurensuche in Beerfelden

Die Wurzeln ihrer Vorfahren sind in Beerfelden. Heute wohnen sie in Kalifornien oder in bei London. Dorthin wanderten die (Ur-)Großeltern aus – aber nicht freiwillig. Die Familie Rosenthal war früher an der Ecke von Roll- und Brunnengasse zuhause, wo heute Optik Gross beheimatet ist. Während der Nazi-Herrschaft konnten die meisten jüdischen Mitbürger flüchten.

Jetzt wandelten Enkel, Urenkel und Ururenkel auf ihren Spuren. Diane Wolf hatte den Kontakt in die alte Heimat ihrer Großeltern gehalten und war mit ihrem Vater in früheren Jahren bereits mehrfach zu Besuch. Das erste Mal, als sie 17 war. „Da habe ich meinen Vater das erste Mal Deutsch sprechen hören“, erzählt sie.

Beim damaligen Besuch in Beerfelden kam sie ins Gespräch mit den Nachbarn, die beobachtet hatten, wie die Großmutter abgeholt und nach Theresienstadt deportiert wurde. Andere wiederum halfen den Rosenthals. Dieses Mal ging die Initiative zum Besuch von der der Verwandtschaft aus Großbritannien aus, die noch nie im Odenwald war. So kam eine 25-köpfige Reisegruppe zusammen.

Zerline Rosenthal, geborene Marx, war 1942 von den Nazis deportiert und dort 1943 ermordet worden. An sie erinnert ein Stolperstein vor dem Haus in der Brunnengasse, an dem Diane Wolf eine Kerze anzündete und Blumen niederlegte. Zerlines Kinder mit ihrem Mann Isaak Rosenthal, Mina Levi, mit Albert Wolf verheiratet, und Friedrich „Frederik“, wanderten 1935 nach Kalifornien aus.

London war das Ziel der Cousins, die die andere Haushälfte in der Brunnengasse bewohnten. Moses Rosenthal mit seiner Frau Regine Strauß und Sohn Max sowie Tochter Zerline siedelten sich bei London an. Der Filius bereits 1934, die Tochter 1936 und die Eltern direkt vor Kriegsbeginn 1939. Sie waren die Vorfahren von Lionel Rosenthal, der mit der ganzen Verwandtschaft anreiste.

Die Kalifornier versuchten in den 30er-Jahren, die nach England ausgewanderten Rosenthals ebenfalls in die USA zu holen. Denn die Eltern waren alle Viehhändler – ein Beruf, dem sie im Napa Valley wieder nachgehen hätten können. Verwandt sind sie alle mit dem Zweig der Rosenthal-Familie, auf den die gleichnamige Stiftung zurückgeht.

1920 spendete Salomon Abraham Rosenthal die Summe von 20.000 Mark zum Bau von Notwohnungen. 1923 beteiligte er sich am Ausbau des damals am Rollbuckel gelegenen Gemeindehauses. Die katholische Gemeinde erhielt 1929 eine Spende in Höhe der Hälfte der Baukosten und konnte dadurch ihr erstes selbständiges Gotteshaus bauen.

1932 wurde die Stiftung vom hessischen Staatsministerium genehmigt. Dieser wurden 190000 Goldmark in mündelsicheren Werten zugrunde gelegt. Mit den Stiftungsgeldern wurde nach dem Krieg das städtische Bad in der Hofwiese (1949 bis 1980) gebaut. Bedürftige Bürger erhielten jahrzehntelang in Beerfelden zu Weihnachten ein kleines Geldgeschenk.

Der Besuch des Oberzent-Museums war für Groß und Klein ein besonderes Erlebnis. Inge Groß vom Heimat- und Geschichtsverein gab zusammen mit Dr. Raimund Keysser Erläuterungen und zeigte auch besondere Punkte der Stadt wie Judenfriedhof und Galgen. Besondere Aufmerksamkeit wurde einem alten Feuerwehr-Bild von 1904 zuteil, auf dem die britischen Rosenthals ihren Urgroßvater in Uniform erkannten.

Die jüdische Gemeinde in Beerfelden blickte 1938 auf eine 300-jährige Geschichte zurück. Bis zu 200 Mitbürger waren es 1861. An der ehemaligen Synagoge befindet sich heute das „S‘Lagger“. Das jüdische Gotteshaus war in der betreffenden Nacht abgerissen worden. Im Gegensatz zu anderen in Deutschland zerstörten Synagogen wurde es nicht gesprengt oder angezündet, da man in der Oberzent-Stadt noch das Trauma des großen Stadtbrandes von 1810 vor Augen hatte.

Um das Jahr 1900 gab es in Beerfelden noch über 100 jüdische Mitbürger. In der heutigen Judengasse wohnten keine. Nur ein Weg führte durch die Straße zur Synagoge. Die Juden waren, das zeigt ein Stadtplan aus dem Jahre 1905, überall in der Stadt zuhause. Schon vor dem Novemberpogrom von 1938 war die jüdische Einwohnerschaft aber stark zurückgegangen. Viele emigrierten, vor allem in die USA – wie die Wolfs und Rosenthals.

Der Landrats-Bescheid vom 15. April 1942 sprach euphemistisch von einer „Evakuierung“. Unterlagen wurden gefälscht, damit nichts auf eine konzertierte Aktion hinwies. Die letzten zwölf jüdischen Bewohner, darunter auch Zerline Rosenthal, wurden im Herbst 1942 über die Sammelstelle in Darmstadt „in den Osten umgesiedelt“, wie die Nazi-Propaganda den Weg in die Vernichtungslager euphemistisch beschrieb.

        

 

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